HEV Jahresbericht 2016

JAHRESBERICHT 2016

Rechtsprechung

Rechtsprechung

Mieterausweisung im summarischen Verfahren trotz hängigem Kündigungs- schutzverfahren Das Bundesgericht hatte sich im Ent- scheid 141 III 262 mit der Frage zu be- fassen, ob eine Ausweisung auch bei einem rechtshängigen Kündigungs- schutzverfahren verlangt werden kön- ne. Das Bundesgericht hat in diesem Entscheid erstmals explizit entschieden, dass dies möglich sei. DieMieterin hatte eine Verletzung von Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO gerügt. Sie hatte geltend gemacht, sie habe, nachdem die Vermieterin das Mietverhältnis am 12. November 2014 (zum wiederholten Mal) ausserordent- lich gekündigt habe, am 18. Dezember 2014 ein Kündigungsschutzbegehren bei der Schlichtungsbehörde Zürich eingereicht. Angesichts dieses rechts- hängigen Verfahrens - so die Miete- rin - hätte das Handelsgericht auf das Ausweisungsbegehren der Vermieterin vom 9. Januar 2015 nicht eintreten dür- fen. Das Bundesgericht war in seiner bisherigen mietrechtlichen Rechtspre- chung wiederholt zumindest implizit davon ausgegangen, dass über ein Aus- weisungsbegehren im summarischen Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen gemäss Art. 257 ZPO auch dann entschieden werden darf, wenn die vo- rangehende ausserordentliche Kündi- gung wegen Zahlungsverzugs im Sinne von Art. 257d OR vomMieter gerichtlich angefochten wurde und das resultie- rende mietrechtliche Verfahren noch nicht rechtskräftig erledigt ist (so etwa die Entscheide 4A_252/2014 vom 28. Mai 2014 E. 3 und 4; 4A_265/2013 vom 8. Juli 2013 E. 6; 4A_187/2012 vom 10. Mai 2012 E. 3; 4A_7/2012 vom 3. April 2012 E. 2; 4A_585/2011 vom 7. Novem- ber 2011 E. 3). Das Bundesgericht weist im jetzigen Entscheid darauf hin, dass die entsprechende Möglichkeit auch von der herrschenden Lehre und in der

Anfechtung des Anfangs- mietzinses setzt keine persönliche Zwangslage des Mieters voraus Das Bundesgericht befasste sich in einem Entscheid vom 18. Mai 2016 (4A_691/2015) mit der Frage, ob als Voraussetzung für die Anfechtung des Anfangsmietzinses eine persönli- che Zwangslage des Mieters gegeben sein müsse. Bei dem vom Bundes- gericht zu beurteilenden Fall ging es um eine am 20. März 2013 gemietete 3.5-Zimmer-Maisonette-Wohnung im Dachstock in einer Liegenschaft in der Stadt Zürich. Der Mietzins wurde auf 3'900 Franken - zuzüglich 300 Franken Nebenkosten à-conto pro Monat fest- gesetzt. Die Mieter verpflichteten sich überdies, eine Sicherheit von 12'600 Franken zu leisten. Bei denMietern han- delte es sich um zwei Angestellte einer Bank, die von Genf nach Zürich versetzt wordenwaren. DieMieter erzielten 2013 ein Jahresnettoeinkommen von zusam- men rund 180‘000 Franken. Am 23. Ap- ril 2013 fochten die Mieter den Mietzins bei der Schlichtungsbehörde Zürich als missbräuchlich an. Die Schlichtungs- stelle stellte mangels Einigung am 26. August 2013 die Klagebewilligung aus. Die Mieter gelangten noch am gleichen Tag an das Mietgericht und stellten den Antrag, es sei der Anfangsmietzins als missbräuchlich zu erklären, soweit er monatlich 2'200 Franken netto über- steige. Mit Urteil vom 16. Juni 2015 wies

das Mietgericht die Klage ab, weil den Mietern der ihnen obliegende Nachweis nicht gelungen sei, dass die Vermieterin einen übersetzten Ertrag erziele. Das Obergericht des Kantons Zürich wies mit Urteil vom 9. November 2015 die Berufung derMieter ab und bestätig- te das erstinstanzliche Urteil. Das Ober- gericht vertrat die Auffassung, es genüge für die Anfechtung des Anfangsmietzin- ses nach Art. 270 Abs. 1 lit. a OR nicht, wenn der Mieter eine Notlage oder eine Wohnungsnot nachweise; er müsse viel- mehr beweisen, dass er sich aus diesem Grund in einer Zwangslage befunden habe, und er müsse nachweisen, dass ihm eine vernünftige Alternative gefehlt habe, wozu er Suchbemühungen nach- zuweisen habe. Die Mieter hätten – so das Obergericht – dieses Erfordernis nicht erfüllt. Mit Beschwerde in Zivilsa- chen vom 15. Dezember 2015 gelangten die Mieter ans Bundesgericht. Das Bundesgericht geht davon aus, dass unter dem geltenden Recht die Anfech- tung nach Art. 270 Abs. 1 OR in drei alternativen Fällen möglich sei, näm- lich wenn der Mieter aus persönlicher oder familiärer Notwendigkeit zum Ab- schluss des Vertrags gezwungen gewe- sen sei (lit. a erste Alternative), wenn er wegen der Situation auf dem lokalen Wohnungsmarkt zumVertragsabschluss gezwungen gewesen sei (lit. a zweite Alternative) oder schliesslich wenn ge- mäss lit. b der Mietzins gegenüber dem- jenigen des Vormieters erheblich erhöht worden sei. Es sei ausreichend, wenn eine dieser drei Alternativen erfüllt sei.

kantonalen Gerichtspraxis bejaht wer- de, wobei teilweise ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass die Rechts- hängigkeit des Kündigungsschutzbe- gehrens der Ausweisung wegen deren unterschiedlichen Streitgegenstandes

zessordnung vom 19. Dezember 2008 ersatzlos aufgehoben habe, weil es der Ansicht gewesen sei, dass das summa- rische Verfahren "in der Variante nach Art. 257 ZPO" - und nur in dieser - für die Gewährung von raschem Rechtsschutz

Im vorliegenden Entscheid verwarf das Bundesgericht die Ansicht der Vorin- stanz, wonach die Mieter nicht nur die Knappheit des Mietangebots von Woh- nungen in Zürich im massgebenden Zeitpunkt nachzuweisen hätten, son- dern auch noch beweisenmüssten, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Situati- on keine zumutbare Alternative gehabt hätten. Die Vorinstanz verkenne die Selbständigkeit der zweiten Vorausset- zung zur Anfechtung des Anfangsmiet- zinses. Das Bundesgericht hält fest, dass der Mangel an Wohnungen oder Geschäfts- räumen im Sinne von Art. 270 Abs. 1 lit. a zweite Alternative OR grundsätzlich mit offiziellen Statistiken belegt werden könne. Vorausgesetzt sei, dass diese ak- tuell seien und auf verlässlichen und hinreichend differenzierten Erhebun- gen beruhten. Soweit verlässliche statis- tische Daten fehlten, sei es dem Mieter auch möglich, den ihm obliegenden Nachweis der Wohnungsnot auf andere Weise zu erbringen, namentlich durch den Nachweis intensiver und frucht- loser Suchbemühungen. Gemäss den Feststellungen des Mietgerichts auf- grund der eingereichten Statistik seien in der Stadt Zürich am 1. Juli 2013 0,11% der Wohnungen leer gewesen und im ganzen Kanton Zürich habe die Leer- wohnungsziffer 0,61% betragen. Die Anzahl bzw. der Prozentsatz verfügba- rer Wohnungen in einem bestimmten Zeitpunkt sei durchaus ein verlässlicher Massstab zur Beurteilung, ob das Ange- bot an Mietwohnungen oder Geschäfts- räumen knapp sei. Da die Vermieterin im Übrigen keine substanziierten Ein- wendungen gegen die amtlichen sta- tistischen Grundlagen angeführt habe, gelte die Wohnungsknappheit im mass- gebenden Zeitpunkt als ausgewiesen. Zur Beurteilung der Höhe des Mietzin- ses auf dessen Missbräuchlichkeit wies das Bundesgericht die Sache an die Vor- instanz zurück.

"Zwei Banker mit einem gemeinsamen Jahreseinkommen von 180‘000 Franken fochten den Mietzins einer Wohnung im Stadtzentrum von Zürich als missbräuchlich an ."

nicht im Sinne von Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO entgegenstehe. Diese Auffassung lasse sich – so das Bundesgericht - denn auch auf die Entstehungsgeschichte von Art. 257 ZPO stützen, zeigten doch die Materialien, dass das Parlament die

in Ausweisungssachen ausreiche. Dabei sei das Parlament offenbar davon aus- gegangen, im Ausweisungsverfahren nach Art. 257 ZPO könne vorfrageweise über die Gültigkeit der Kündigung ent- schieden werden, weshalb - in liquiden

früher geltende Regel zur Koordination von Kündigungsanfechtung und Aus- weisung mittels Kompetenzattraktion beimAusweisungsrichter (Art. 274g OR) im Rahmen des Erlasses der Zivilpro-

Fällen - mittels Gutheissung des klägeri- schen Begehrens eine Verzögerung der Ausweisung durch Abwarten des miet- rechtlichen Kündigungsschutzverfah- rens vermieden werden könne.

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