HEV Jahresbericht 2023

JAHRESBERICHT 20 23 Rechtsprechung

Bauarbeiten in einer Eigentumswohnung Urteil 5A_79/2022 vom 16. November 2022

wissenschaftlich erhärteten Erkenntnissen beruhen und überall dort eingehalten werden müssen, wo sich Personen aufhalten. Weiter wird mit den deutlich darunter liegenden Anlagegrenzwerten das Vorsorgeprinzip konkretisiert. Mit diesen soll das Risiko für schädliche Wirkungen, die noch nicht absehbar sind und erst vermutet werden, möglichst gering gehalten werden. Beide Grenzwerte sind unabhän gig von der verwendeten Technologie (2G, 3G, 4G oder 5G) einzuhalten. Im vorliegenden Fall kam die NISV zur Anwen dung, welche vor dem 1. Januar 2022 in Kraft war. Die Neu regelungen der aktuellen NISV waren damit unbeachtlich. Die Beschwerdeführer verlangten die Verschärfung der Grenzwerte, denn das Vorsorgeprinzip würde verletzt. Sie machten geltend, dass das Risiko für Gesundheitsschädi gungen oder lästige Folgen bei dauerhafter Bestrahlung ohne mehrtägige Pausen insbesondere bei Personen mit Vorschädigungen auch unterhalb der Anlagegrenzwer te hoch bis sehr hoch sei. Unbeachtlich sei, dass die bio logischen Wirkungen noch nicht mit letzter Sicherheit erklärbar seien. Oxidativer Stress könne durch Mobilfunk strahlung ausgelöst werden, was zu einer schleichenden Verschlechterung der Gesundheit führe. Das Bundesgericht hält fest, dass es in erster Linie Sache der Fachbehörden sei, gegebenenfalls die NISV anzupassen, und nicht des Bundesgerichts. Das BAFU sei dieser Aufgabe nachgekom men. Es bestünden keine hinreichenden Hinweise, dass die Fachbehörden oder der Bundesrat eine Anpassung der NISV hätten beantragen oder vornehmen müssen. Die Be schwerdeführer hätten dies nicht aufgezeigt. Demzufolge hätten die kantonalen Behörden die geltenden Grenzwer te zu Recht angewendet. Zudem erachtete das Bundesge richt im vorliegenden Fall und zum heutigen Zeitpunkt die rechnerische Prognose der Mobilfunkstrahlung, die vom Bund empfohlene Messmethode sowie das Qualitätssi cherungssystem als tauglich. Das Bundesgericht verneinte damit eine Verletzung des Vorsorgeprinzips und wies die Beschwerde ab. Zu beachten gilt, dass im vorliegenden Fall nicht die der zeit geltende NISV vom Bundesgericht zu beurteilen war. Diese sieht zwar die gleichen Grenzwerte vor, lässt aber eine Überschreitung der Grenzwerte für adaptive Antennen mit acht oder mehr separat ansteuerbaren Antenneneinheiten während jeweils sechs Minuten gemittelt zu. Ohne vorgängig eine Vernehmlassung durchzuführen, änderte das BAFU die NISV ab, welche vom Bundesrat per 1. Januar 2022 in Kraft gesetzt wurde.

Das Bundesgericht hatte im Entscheid 5A_79/2022 zu prü fen, ob ein einzelner Stockwerkeigentümer den von der Ge meinschaft beschlossenen neuen Hauseingang samt Anbau eines Lifts verhindern kann. Im zu beurteilenden Sachverhalt befindet sich der Eingang zum Wohnhaus im Untergeschoss und ist über eine Aussentreppe erreichbar. Anlässlich der or dentlichen Stockwerkeigentümerversammlung stimmte die Gemeinschaft mit qualifiziertem Mehr für die nützliche bau liche Massnahme, einen neuen Haupteingang mit Lift auf der Höhe des Erdgeschosses sowie einen Nebeneingang für Fahrräder im Kellergeschoss zu erstellen. Der Eigentümer der 3,5-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss stimmte gegen das Bauprojekt. Mangels Einigung bei der Schlichtungsverhand lung verklagte der Eigentümer der Erdgeschosswohnung die Stockwerkeigentümergemeinschaft vor dem Regionalgericht. Er beantragte die Aufhebung der das Bauvorhaben betreffen den Versammlungsbeschlüsse, soweit diese den neuen Ein gang im Erdgeschoss betreffen. Nach Abweisung der Klage durch das Regionalgericht hiess das Kantonsgericht Grau bünden die Klage gut. Gegen dieses Urteil erhob die Gemein schaft Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Als erstes wiederholte das Bundesgericht in seinem Ent scheid die gesetzlichen Grundsätze. Bei Stockwerkeigentum gelten für die Zuständigkeit zu Verwaltungshandlungen und baulichen Massnahmen die Bestimmungen über das Mit eigentum. Für nützliche bauliche Massnahmen ist die Zu stimmung der Mehrheit aller Miteigentümer erforderlich, die zugleich den grösseren Teil der Sache vertritt (Art. 647d Abs. 1 ZGB). Falls die vorgesehenen Änderungen einem Miteigentü mer den Gebrauch oder die Benutzung der Sache zum bishe rigen Zweck erheblich und dauernd erschweren oder unwirt schaftlich machen, ist zur Durchführung seine Zustimmung notwendig (Art. 647d Abs. 2 ZGB). Der betroffene Mit- bzw. Stockwerkeigentümer hat somit ein Vetorecht – er hat die Möglichkeit, sich gegen Belastungen zu wehren, die im Ver gleich zu den anderen Gemeinschaftern übermässig sind. Da bei ist den konkreten baulichen und örtlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Zu berücksichtigen ist, ob die baulichen Massnahmen die Möglichkeit verschlechtern, die Stockwerk einheit zu vermieten und dadurch einen Ertrag zu erzielen. Weiter zu prüfen sind Wertverminderungen des Stockwerk eigentumsanteils. Vorliegend würden durch den vorgesehenen Anbau Per sonen, die durch den Hauseingang das Gebäude betreten,

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