Jahresbericht-2020

JAHRESBERICHT 2020

Rechtsprechung

können die Kosten für Umweltschutz, Energiesparen und Denkmalpflege nur anteilsmässig oder z.B. hälftig bei der Einkommenssteuer als Unterhaltskosten in Abzug gebracht werden, so kann und muss der restliche Betrag hingegen spä- ter bei einer Veräusserung der Immobi- lie bei der Grundstückgewinnsteuer de- klariert und in Abzug gebracht werden. Der steuerpflichtige Immobilieneigen- tümer ist also angehalten, die rechtli- chen Regelungen des entsprechenden Kantons detailliert zu prüfen. Wird ein solcher Unterhaltskostenabzug obwohl zulässig vergessen, kann er nicht nach- geholt werden. BGer 4A_397/2019, Urteil vom 1. Juli 2020: Arbeitsunfall: Haftung des Grundeigentümers verneint Im Winter 2009 ereignete sich ein schwerer Arbeitsunfall. Die Arbeitgebe- rin betrieb ein Lager und war Mieterin der Liegenschaft. Zwei Mitarbeiter, der Lagerleiter und eine Aushilfe hatten di- rekt vor dem Warenlift eines von sechs Metallgittern aus der Verankerung ge- löst, um Schmutz zu entfernen. Unter den Metallgittern befanden sich nicht tragfähige Styroporplatten, welche den Luftzug aus dem zweiten Untergeschoss verhindern sollten. Ein anderer Lager- mitarbeiter wollte die Stelle mit dem Metallgitter passieren, wobei er die Sty- roporplatten durchbrach und vier Me- ter in die Tiefe stürzte. Dabei wurde er schwer verletzt. Die Eidgenössische In- validenversicherung richtet in der Folge aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100% die gesetzlichen Leistungen aus, welche voraussichtlich von der AHV nach der ordentlichen Pensionierung von der AHV zu übernehmen sind. Nach gescheitertem Schlichtungsver- such reichten beide Sozialversiche- rer beim Zivilgericht des Kantons Ba-

sel-Stadt Klage gegen den Eigentümer der Liegenschaft ein und forderten ca. CHF 850'000. Sowohl das erst- wie auch das zweitinstanzliche Gericht lehnten die Klage bzw. die Berufung ab. Die So- zialversicherer gelangten vor Bundes- gericht. Auch diese entschied zuguns- ten des Eigentümers. Das Bundesgericht bejahte zunächst eine vertragliche Haftung des Arbeit- gebers (Hilfspersonenhaftung, Art. 101 OR) gegenüber seinem verunfallten Arbeitnehmer, da der Gitterrost vom Leiter des Lagers, den Mitarbeitern und der Aushilfe entfernt wurde. Der Leiter des Lagers war zweifellos in einer Vor- gesetztenfunktion gegenüber dem ver- unfallten Lagermitarbeiter und er war daher verpflichtet, für den Arbeitgeber die gesetzliche Schutzpflicht wahrzu- nehmen. Gemäss Bundesgericht ist somit für die Beurteilung der Haftungsquote im internen Verhältnis von einer vertragli- chen Haftung des Arbeitgebers auszu- gehen. Bei der Haftung mehrerer aus verschiedenen Rechtsgründen gilt ge- mäss Art. 51 Abs. 1 OR: Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechts- gründen, sei es aus unerlaubter Hand- lung, aus Vertrag oder aus Geset-zes- vorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet ha- ben, entsprechend auf sie angewendet. Art. 51 Abs. 2 OR hält eine Kaskaden- ordnung fest: Dabei trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist. Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass solange das Gitter nicht entfernt worden sei, ginge von der Baute unab-

hängig von der Verschmutzung, dem Vorhandensein und der Tragfähigkeit der Styroporplatten keine Gefahr aus, weil das Gitter die Tragfähigkeit ge- währleistet hätte. Dies änderte sich erst mit der Wegnahme des Gitters, aller- dings nur deswegen, weil die Wegnah- me erfolgte, ohne dass die mit Blick auf die dadurch geschaffene Gefahr vom Arbeitgeber für seien Arbeitnehmer zu beachtenden Sicherheitsmassnahmen ergriffen worden wären. Es handelt sich um einen klassischen Fall, in dem von der Baute keine wesentliche Gefahr ausgegangen wäre, wenn sich die Drit- ten korrekt oder vertragsgemäss verhal- ten und die notwendigen Schutzmass- nahmen ergriffen hätten. Es handelt sich um einen Fall, in dem die Dritten (hier die Mieterin beziehungsweise die Personen, welche das Gitter abmontiert haben) näher am Schaden stehen als der Werkeigentümer. Von der Kaskadenordnung gemäss Art. 51 Abs. 2 OR könne der Richter nur im Einzelfall, wenn eine starre Anwen- dung den besonderen Umständen des Einzelfalls nicht gerecht würde, abge- wichen. Dies lehnt das Bundesgericht vorliegend ab. Indem das Gitter ohne die notwendigen Schutzmassnahmen entfernt wurde, schufen die handeln- den Personen genau die Gefahr, die sich danach realisiert hatte und geg en die sie bei korrektem Verhalten Schutz- massnahmen hätten ergreifen müssen. Dies liegt primär im Verantwortungsbe- reich der Personen, welche die Gefahr geschaffen haben, beziehungsweise des Arbeitgebers, der für die Sicherheit sei- ner Angestellten zu sorgen hat. Der Ar- beitgeber haftet somit auch im Innen- verhältnis zu 100%. In der Praxis finden sich häufig ähnliche Konstellationen, wo Unternehmer versuchen, den Bau- herr/Werkeigentümer in die Pflicht zu nehmen. Dieser Entscheid zeigt, dass dies im Einzelfall zurecht nicht mit Er- folg beschieden ist.

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