HEV Jahresbericht 2016

JAHRESBERICHT 2016

Rechtsprechung

Rechtsprechung

RECHTSPRECHUNG Ausgewählte Bundesgerichtsentscheide

net ist. Das Bundesgericht führte aus, dass Art. 22 des Umweltschutzgesetzes (USG) festhalte, dass Baubewilligungen in lärmbelastetenGebieten für neue Ge- bäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, nur erteilt würden, wenn die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten oder die Räume zweck- mässig angeordnet und die zusätzlichen Schallschutzmassnahmen getroffen würden. Art. 31 Abs. 1 LSV präzisiere, Lärmimmissionen würden in der Mitte der offenen Fenster lärmempfindlicher Räume ermittelt. Somit müssten die Grenzwerte für Lärmimmissionen an allen Fenstern von lärmempfindlichen Räumen eingehalten werden. Gemäss Bundesgericht führe die Lüftungsfens- terpraxis zur Aushöhlung des vom Ge- setzgeber gewollten Gesundheitsschut- zes. Bei der Anwendung könnte sich die Gestaltung des Bauvorhabens darauf beschränken, pro Raum das lärmabge- wandte Lüftungsfenster abzuschirmen. Aus Kostengründen würden weitere Massnahmen zur Lärmbeschränkung nicht ergriffen. Wenn es genüge, die Lüftungsfenster auf der lärmabgewand- ten Seite vorzuschreiben, um die Zo- nenplanung zu realisieren, sinke der

Druck auf das Gemeinwesen, Massnah- men zur Bekämpfung von schädlichen oder lästigen Lärmimmissionen an der Quelle anzuordnen. Das Bundes- gericht hielt fest, dass ein Verzicht auf die Überbauung stark lärmbelasteter Flächen im Siedlungsgebiet dem raum- planerischen Interesse der Siedlungs- verdichtung nach innen und an einer haushälterischen Bodennutzung wi- dersprechen könne. Deshalb sei die Er- teilung einer Ausnahmebewilligung in Betracht zu ziehen, falls das Bauprojekt der qualitativ angemessenen Siedlungs- entwicklung und –verdichtung nach in- nen diene und alle zumutbaren Lärm- schutzmassnahmen ergriffen worden seien. Vorliegend sei dies aber nicht der Fall. Zusammenfassend hielt das Bun- desgericht fest, dass Art. 22 USG, Art. 31 Abs. 1 und Art. 39 Abs. 1 LSV verlangen würden, dass die Immissionsgrenzwer- te an allen Fenstern lärmempfindlicher Räume eingehalten würden. Dies sei vorliegend nicht erfüllt. Die Beschwer- de wurde deshalb vom Bundesgericht abgewiesen. Die Lüftungsfensterpraxis ist somit unzulässig, weshalb die Ein- familienhäuser unter diesen Vorausset- zungen nicht gebaut werden dürfen.

Lärmschutz: Unzulässige Lüftungsfensterpraxis Im Urteil vom 16. März 2016 hatte das Bundesgericht erstmals Gelegenheit, sich zur sogenannten „Lüftungsfens- terpraxis“ zu äussern. Dem Urteil zu Grunde lag folgender Sachverhalt: In der Aargauer Gemeinde Niederlenz hatte 2013 der Gemeinderat den Bau von drei Einfamilienhäusern bewilligt. An das in der Wohnzone gelegene Bau- gebiet grenzt eine Arbeitszone, in wel- cher ein Industriebetrieb rund um die Uhr erheblichen Lärm verursachte. Die Baubewilligungen wurden vom Verwal- tungsgericht des Kantons Aargau auf- gehoben, da die Immissionsgrenzwerte für Lärm nicht an allen Fenstern von lärmempfindlichen Räumen eingehal- ten wurden. Gegen diesen Entscheid er- griffen die Bauherren der Einfamilien- häuser Beschwerde ans Bundesgericht. Sie beriefen sich auf die in der Hälfte der Kantone angewandte „Lüftungsfenster- praxis“, wonach die Lärm-Immissions- grenzwerte nur an einem Fenster pro lärmempfindlichen Raum eingehalten werden müssen, das zum Lüften geeig-

diese im Einklang mit der Rechtsgleich- heit erfolgen und verhältnismässig sein müssen, zudem dürfen sie nicht will- kürlich erhoben werden. Gerade in sol- chen Fällen ist das Spannungsverhält- nis zwischen den Sondersteuern und dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung gross und verdient beson- dere Beachtung. Das Bundesgericht be- stätigte seine Rechtsprechung sodann auch und hielt fest, dass die Obwaldner Tourismusabgabe weder als willkürlich noch als rechtsungleich zu beanstan- den ist. Der steuerliche Wohnsitz ist nicht massgebend Hingegen kamdas Bundesgericht in Be- zug auf die Differenzierung nach dem steuerrechtlichen Wohnsitz zu einem anderen Ergebnis. Das Bundesgericht hielt ausdrücklich fest, dass Rechtsun- gleichheit vorliegt, wenn eine Sonder- steuer einzig von denjenigen erhoben wird, die im entsprechenden Kanton keinen steuerlichen Wohnsitz nach- weisen können. Das Bundesgericht kam zu dem Schluss, dass die Nutzung des touristischen Angebots nicht von einem steuerlichen Wohnsitz abhängt. Da kein vernünftiger Grund für die un- gleiche Behandlung von einheimischen und auswärtigen Eigentümern von Fe- rienimmobilien vorlag, ist die entspre- chende Abgabe verfassungswidrig. Die Rechtsprechung des Bundesge- richts in diesen beiden Urteilen wird zur Folge haben, dass Tourismusabga- ben zu prüfen sind und allenfalls An- passungen vorgenommen werden müs- sen, damit eine verfassungskonforme Ausarbeitung gewährleistet ist. (Urteile des Bundesgerichts 2C_712/2015 und 2C_794/2015 vom 22. Februar 2016)

Zweitwohnungsbesteuerung im Kanton Obwalden Das Bundesgericht hat sich Anfang des Jahres mit der vom Kanton Obwalden von auswärtigen Eigentümern von Feri- enliegenschaften erhobenen Tourismu- sabgabe beschäftigen müssen. Gemäss dem Art. 13 Abs. 2 des Tourismusgeset- zes des Kantons Obwalden untersteht der Abgabepflicht auch, „wer sich zu Ferien- oder Erholungszwecken in eige- nen oder dauernd gemieteten Gebäu- den, Wohnungen oder Zimmern aufhält oder sich diese zur Verfügung hält und nicht im Kanton seinen steuerrechtli- chen Wohnsitz hat“. Zwei Eigentümer von Ferienhäusern auf Melchsee-Frutt, die beide ihren steuerlichen Wohnsitz in auswärtigen Kantonen haben, waren bis vor das Bundesgericht gelangt um die Rechtmässigkeit der vorerwähnten Tourismusabgabe prüfen zu lassen. Beide fochten die Rechnung in dreistel- liger Höhe zunächst vor dem kantona- len Volkswirtschaftsdepartment an und zogen die Entscheide weiter vor den Regierungsrat und zuletzt an das Ob- waldner Verwaltungsgericht. Das Bun- desgericht hiess die Beschwerden nun

gut und beurteilte die erhobene Touris- musabgabe für verfassungswidrig, weil sie einheimische Personen in gleicher Situation steuerlich bevorteilt.

Definition als Kostenanlastungssteuer

Die entsprechende Tourimusabgabe musste auch von Eigentümern oder Nutzern von eigenen oder dauerhaft gemieteten Ferienimmobilien bezahlt werden, jedoch nur falls diese ausser- kantonalen steuerlichen Wohnsitz ha- ben. Das Bundesgericht entschied, dass es sich nicht um eine Kausalabgabe, sondern eine Kostenanlastungssteuer handelte. Dies sind auch Sondersteu- ern, die einer bestimmten Gruppe von Personen auferlegt werden, die in be- stimmten Situationen dem Gemein- wesen näher stehen als andere Steu- erpflichtige. Als Sondersteuern gelten beispielsweise Hundesteuern, Motor- fahrzeugsteuern und auch Kurtaxen, weil in allen Fällen die Steuerpflichtigen Mehrgebrauch von bestimmten Auf- wendungen machen.

Gemäss dem Bundesgericht ist bei sol- chen Sondersteuern zu beachten, dass

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